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“Wider den Zeitgeist” – Ein Beitrag von Dr. Hjalmar Kunz zur Teatime 2014

Bedenklich, wer dem Zeitgeist traut der sagt was „in“ ist oder „out“.
So muss zum Beispiel jeder tragen, was ihm die Modepäpste sagen.
Du weißt nicht, was dir selber steht? Dann schau, wer mit der Mode geht. Das Bogner-Hemd ist erste Wahl, der Schlips in diesem Jahr ist schmal. Man muss jetzt Haifisch-Kragen tragen, man könnte auch was and‘res wagen. Dann würden Modepäpste sagen:
„Du trägst da einen falschen Kragen!“ Ob dir das steht, ist ganz egal,
wer „in“ sein will, hat keine Wahl. Doch wer in aller Welt versteht,
wie sich hier der Geschmack verdreht?

Schickimickis ganz blasiert und auf Arroganz dressiert
proben ihre Superschau, demonstrieren ihren Hau.
Man sucht gewählt die „destination“ fragt vornehm nach der „In-Location“ und bucht gemäß dem neuesten Trend das angesagte „In-Event“.
Ob Kleidung, Weine, ob Kultur, von eigner Meinung keine Spur, vom „In“-Gequatsche ganz verwirrt tut man, was angeraten wird,
und trottet dann verblendet nur
in der ausgelegten Spur.

Und die Bereitschaft zum Verblöden lässt schnell dann den Verstand veröden. Der letzte Rest Verstand ist hin beim Argument: „das ist jetzt ‚in‘!“

Hilflos und völlig irritiert,entmündigt und manipuliert
durch Modepäpste und Friseure, Sterne-Köche und Pastöre, Empfehlungen zum „schöner Wohnen“. So lässt der Geist sich heute klonen, und vielen fällt hier nichts mehr ein als tumbes Spinnen im Verein; im Verein der Oberklasse oder im Verein der Masse.

Trink nicht den Whisky, der dir schmeckt! Du wirst als Ignorant entdeckt,
der nicht die Test-Empfehlung kennt,
den aktuellen Trend verpennt.
Du weißt nicht, welche Weine schmecken? Ein Weinpapst wird das für dich checken, denn es kann sein, du liegst sonst schief und dein Geschmack ist primitiv. Geschmack ist, was dir and‘re sagen; du sollst da keinen Aufstand wagen.

Die Uhren nur von der Marke A, zum Beispiel Rolex, Omega, Zigarren von der Marke B,
die Mode vom Designer C,
den Wein nur von dem Weingut D. (Wähle Rothschild, das ist richtig,
ob der dir schmeckt, das ist nicht wichtig.) Trend-Setter zeigen dir die Spur,
denk nicht lange, folge nur!
Mach nach Möglichkeit die Sachen,
die diese klugen Leute machen.
Und auch bei kulturellen Taten
tu das, was dir Experten raten.
Genieße die besond‘re Weihe,
sitz dabei in der ersten Reihe.
Auch hier ist vieles vorgedacht,
die Sache für dich leicht gemacht.
Pfleg daher den Experten-Glauben,
lass ihn dir nicht durch Zweifel rauben.

Das empfiehlt auch der Pastor, für Glaube stets mit offenem Ohr.

Von der Werbung arg gefoppt,
mit Vornehm-Dünkel stark gedopt,
wird vielerorts heute wie bekloppt
im Wahn rund um die Uhr „geshoppt“.
Und macht‘s auch keine Seele froh,
fest steht dann nur, man macht‘s halt so. Beim Shopping macht man Shoppingpausen in ganz speziellen Edel-Klausen,
den Jahrmärkten der Eitelkeiten,
die vielen Leuten Freud bereiten.
Oft vornehm, aber unbequem,
man findet‘s trotzdem angenehm.
Man spricht in leicht blasiertem Ton,
von Location, Lokation.

Hier geht‘s nicht nur ums Hunger stillen, wichtig ist auch „chatten“, „chillen“.
Das klingt, vorsichtig ausgedrückt extravagant und leicht verrückt.
Sehen und gesehen werden
Ist hier ein starker Trieb der Herden.

Aquarium-ähnlich ausgestellt
zeigt man sich hier dem Rest der Welt. Man tafelt hinter hohen Scheiben, beobachtet
des Volkes Treiben und, das sollte man versteh‘n,
wird auch gerne selbst geseh‘n.
Den kleinen Finger abgespreizt
wird hier das Taschengeld verheizt, und bei dem vornehmem Getue findet man dann die inn‘re Ruhe.

Was ist an diesem Zeitgeist „Geist“? Schämt der sich nicht, dass es so heißt? Denn Geistiges ist dünn gesät
und das Niveau ist flach gemäht.

Schön, wer versucht bei allen Sachen sich ein eig‘nes Bild zu machen,
wer nicht den Trend zum Vorbild nimmt und sieht, dass manches da nicht stimmt, wer Vorgekautes schlecht verdaut
und lieber frisches Futter kaut,
wer nicht mit Schickimicki hampelt und auch nicht mit der Herde trampelt, wer nicht den vielen Päpsten traut, mehr auf das eig‘ne Urteil baut:

Was praktizierte Freiheit heißt,
weiß der, der auf den Zeitgeist scheißt!